Text von Uwe Anhäuser, Hunsrück und Naheland, DuMont-Kunst-Reiseführer, 1987




Die letzte von dramatisch wirkenden Landschaftsformen flankierte Engstelle des Nahetales zwischen den Porphyrmassiven flussabwärts von Bad Münster war offenbar schon zur keltischen Zeit (um 500 v. Chr.) ein neuralgischer Punkt. Droben, auf den Felsen der Hardt und der Gans, sind im Gesträuch noch Reste von Vorzeitfestungen erhalten, die zur Sicherung der ins hintere Naheland und den Hunsrück hineinführenden Verbindungswege und vielleicht auch schon der Solequellen im Salinental gedient haben mögen. Der Name Kreuznach geht auf einen keltischen Eingesessenen zurück und lautete in römischer Zeit ›Cruciniacum‹, später (822) ›villa crucenacus‹ sowie (1225) ›Crucenache‹. Dass 1167 der Sponheimer Abt Kraffto vom Papst einen Partikel des Heiligen Kreuzes als Reliquie geschenkt erhielt, hat demnach mit der Namensgebung ursächlich nichts zu tun.

Die römerzeitliche Siedlung bestand rechts der Nahe. Von einem dort unter Kaiser Valentinian (364-74) angelegten Kastell blieb als rund 15 Meter langer Rest der einstigen Umwallung die sogenannte ›Heidenmauer‹ erhalten (unfern der Bahnlinie, schräg gegenüber der Pfingstwiese hinter dem anderen Flussufer). Die im Umland der Kreuznacher Bucht aufgesammelten steinzeitlichen Artefakte deuten jedoch in weit tiefere Vergangenheiten zurück: Schon vor 6000 Jahren ließen sich bandkeramische Siedler in dieser Region nieder, und die ›Lößigjäger im Lindengrund‹ am Guldenbach-Unterlauf (zwischen Bretzenheim und Guldental) stellten bereits zur Altsteinzeit den damals dort lebenden Rentieren, Wildpferden, Wollnashörnern, Wisenten und anderen Beutetieren nach.

Als dauerhafter Wohnort für die Menschen der Frühgeschichte wurde das heutige Bad Kreuznach aber erst während der gallo-römischen Epoche bedeutend. Davon erzählen die aus dem früheren Karl-Geib-Museum  in die 1985 eröffnete ›Römerhalle‹ (Huffelsheimer Straße 11) überbrachten Funde mit hervorragenden Einzelstücken. Einzigartige Attraktionen in diesem vortrefflich eingerichteten Lapidarium zwischen den aufgemauerten Resten des römischen Landhauses und dem Museum im klassizistischen Puricelli-Schlößchen sind die beiden Mosaikböden. Das Kreuznacher Gladiatorenmosaik mit seinen zahlreichen Einzelszenen von Schaukämpfen in der antiken Arena stellt ausser dem ähnlich konzipierten Bilderbogen von Nennig an der Mosel das einzige Kunstobjekt dieses Inhaltes im Europa nördlich der Alpen dar. Und das ebenfalls in der Römerhalle gezeigte Oceanusmosaik (um 300) gibt in seiner lebendig wirkenden Bildkomposition Motive aus dem Leben der Wassertiere, Schiffe, Händler am Strand sowie interessante Architekturen wieder. Sogar den Namen eines Schöpfers kennt man: Victorinus hat sein Kunstwerk signiert. Im übrigen zeugt die benachbarte Peristylvilla, aus welcher es geborgen wurde, in ihren über fünfzig Räumen auf einer Gesamtgrundfläche von 5750 Quadratmetern mit luxuriösen Details von bedeutendem Wohlstand im Cruciniacum der Römerzeit.

Nach der Völkerwanderungszeit, als die antiken Bauten weit umher in Schutt und Asche lagen, hielten salische Franken am Unterlauf der Nahe Einzug, von deren reger Besiedlungspolitik die in der Umgebung sehr häufigen Ortsnamen mit den Endungen auf -heim noch Kunde geben. Im Stadtteil Planig (Kirche von 1492 mit romanischem Turm und gotischen Chor von 1507) konnte ein fränkisches Fürstengrab untersucht und auf das Jahr 525 datiert werden. Der mit kostbaren Waffen Bestattete hatte einen Spangenhelm bei sich, dessen ornamentale Zier aus Weintrauben gebildet ist. Zur Zeit, als er zu Grabe getragen wurde, entstand im Bereich des Kastells von Cruciniacum ein Königshof, den später Ludwig der Fromme mehrere Male (810, 839) aufsuchte. Zugleich wurde am selben Platz eine Martinskirche (1590 abgerissen) als wohl frühester christlicher Sakralbau der Region errichtet.

Seit dem 10 Jahrhundert traten die Nahegaugrafen (Emichonen) als Lehensmänner in der allmählich angewachsenen Siedlung auf. Ihnen folgten die Herren vom Stein (nachmalige Rheingrafen), während auf dem linken Ufer nach 1105 die Grafen von Sponheim einen Ort begründeten, der schon 1240 mit Stadtrechten bedacht wurde (die ›Neustadt‹) und zu dessen Schutz sie ihre Kauzenburg erbauen ließen. Von dieser 1689 zerstörten Feste (seit 1233 Hauptsitz der Vorderen Grafschaft) blieben noch wuchtige Kellergewölbe, denen nach 1970 die moderne Architektur des Burgrestaurants aufgesetzt worden ist.

Die mit der Kauzenburg verbundene historische Stadtwehr hinterliess Relikte in der Magister-Faust-Gasse und am FLussufer, darunter als einstige Eckbastion an der Ellerbachmündung das sogenannte Butterfass mit dem achteckigen Gartenhaus des Pfeffermühlchens (18. Jh.) Dahinter gewahrt man die interessante Häuserzeit von Kreuznachs ›Klein-Venedig‹ unter dem markanten Umriss der Nikolauskirche (13./14. Jh.). In dieser querhauslosen Basilika zu drei Schiffen mit fünfjochigem Langhaus und zweijochigem Chor könnten trotz zahlreicher Restaurierungen späterer Zeiten noch bemerkenswerte Einzelheiten der Spätgotik beobachtet werden, so vor allem der südliche Nebenchor mit seinem vorzüglichen Sterngewölbe. Unter der neugotischen Ausstattung befinden sich Gestühl und Kommunionbank (1796) mit barocken Schnitzereien. Von historischer Bedeutung sind die vier Bildnisgrabsteine im Chor: Johann von Stein-Kallenfels (gest. nach 1357), Graf Walram von Sponheim (gest. 1382), Johann von Waldeck und Schönette von Montfort (gest. nach 1438) und Rheingraf Friedrich (gest. 1490).

Durch die Mannheimer Straße gelangt man zur alten Nahebrücke mit ihren historischen Brückenhäusern, hinter welchen die 1311 gestiftete ehemalige Pfarrkirche auf dem Wörth (Flussinsel) mit ihrer malerischen Turmhaube (1768-81)  aufragt (heute evangelische Pauluskirche). Die einst dreifschiffige gotische Basilika fiel den Zerstörungen 1689 zum Opfer, wurde 1768-81 erneuert und im 19. Jahrhundert mehrfach verändert. Vom gotischen Bau blieben der Chor und die Westwand mit ihren Treppentürmen erhalten. Altar, Kanzel und Gestühl wurden 1777 aufgestellt, die Orgel um 1840. Auch im Chor der Pauluskirche sind mehrere alte Epitaphien von besonderem Interesse: Auf ihren gut erhaltenen Grabreliefs erkennt man Rheingraf Konrad (gest. um 1385), Hermann Stumpp von Waldeck (gest. 1412), Frank von Löwenstein (gest. 1456) und die mit ihren beiden Kindern abgebildete Rheingräfin Lucart (gest. 1452).

An weiteren Gotteshäusern in Bad Kreuznach verdient die gotische Wolfgangskapelle (nach 1472) als Rest einer ehemaligen Franziskanerklosterkirche Beachtung (neben dem modernen Bau des Gymnasiums). Die neugotische katholische Pfarrkirche Heiligkreuz am Bahnhofsvorplatz (1895-97) gilt als beispielhafte Architektur ihrer Stilgattung. Von der lutherischen Wilhelmskirche (17./18. Jh.) blieb beim Neubau eines Bankinstituts der Turm mit einem 1561 datierten Türgewände stehen.

Mit dem Dienheimer Hof (1563) an der Mannheimer Straße, dem barocken Hundheimer Hof (1715; heute Stadthaus), dem Kronenberger Hof (1660) und dem Volxheimerschen Burghaus (17./18. Jh.) verfügt Bad Kreuznach noch über historische Stadthäuser adliger Herrschaften, während das Fachwerkgebäude des historischen Fausthauses (1590) an der Wilhelmsbrücke (Restaurant) an den einst ›weitbeschreyten‹ Magier und Lateinschullehrer von Sickingschen Gnaden erinnert. Noch zahlreiche gediegene Bürgerhäuser, insbesondere an Mannheimer, Post- und Hochstraße, überstanden die Jahrhunderte (auch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg), während die Villen und sonstigen repräsentativen Gebäude des Kurviertels nicht etwa einen morbiden Hauch der entschwundenen ›Belle Epoque‹, sondern einen lebenserfüllten Erholungs- und Freizeiteindruck vermitteln.

Naheaufwärts erstreckt sich von der Roseninsel zu den Gradierwerken im Salinental eine weitläufige Parklandschaft, die einst wie heute zum flanieren einlädt. Hier wie auch vielerorts im Stadtinneren erblickt man eine Vielzahl kunstvoller Skulpturen, die Bad Kreuznach zum überwiegenden Teil seiner Bildhauer-›Dynastie‹ der Familie Cauer verdankt (etliche Arbeiten auch im Schlossmuseum).

Emil Cauer d.Ä. (1800-67) wirkte seit 1832 als Zeichenlehrer am Kreuznacher Gymnasium. Er modellierte Märchenfiguren, Gestalten aus der deutschen Geschichte und aus Shakespeares Dramen. Sein Sohn Carl Cauer (1828-85) schuf das Mannheimer Schillerdenkmal, das Prieger-Standbild für den Begründer der Kurbadtradition (an der Pauluskirche) und das Götz-Bildnismedaillon auf dem Winterburger Friedhof. Sein Bruder Robert Cauer d.Ä. (1831-93) hinterliess vor allem auf dem Friedhof seiner Heimatstadt zahlreiche Grabdenkmäler. Robert Cauer d.J. (1863-1947), Carl Cauers Sohn, schuf das bedeutende Michel-Mort-Denkmal auf dem Eiermarkt in der Bäderstadt, während sein Bruder Ludwig Cauer (1866-1947) die Brunnennymphe im Innenhof des Bäderhauses sowie das Sobernheimer Felke-Standbild fertigte. Hugo Cauer (1864-1918), ebenfalls ein Sohn von Carl Cauer, wirkte als Bildhauer für zahlreiche Städte und hat auch eine Büste des Nahetaldichters Gustav Pfarrius entworfen. Sein Bruder Emil Cauer d.J. (1867-1946) hat viele Denkmäler in und um Berlin geschaffen; auch auf dem Bad Kreuznacher Friedhof finden sich etliche Arbeiten von seiner Hand. Hans Cauer (1870-1900), fünfter von Carl Cauers Söhnen, unternahm als Maler seine Reisen in Spanien und Ägypten. Stanislaus Cauer (1867-1943) war ein Sohn Robert Cauers d.Ä. und wirkte als Professor an der Kunstakademie Königsberg. Von ihm stammt das Maler-Müller-Relief, das in Bad Kreuznach an den Dichter und Maler erinnert, der seine künstlerische Erfüllung in Rom gefunden, dabei aber nie seine Heimatstadt vergessen hatte: Friedrich Müller, genannt Maler Müller (1749-1825), brachte es vom Sohn eines Kreuznacher Bierbrauers bis zum ›spiritus rector‹ der deutsch-römischen Malerkolonie am Anbruch der romantischen Epoche. Friedrich Cauer (1874-1945), Stanislaus' Bruder, war Schöpfer kunstvoller Grabmäler. Schließlich hat Hanna Cauer (geb. 1902), Tochter Ludwig Cauers, ihre Heimatstadt um eine Reihe ansehnlicher Skulpturen bereichert, von denen mehrere im Oranienpark stehen: Brunnenmädchen, Kauernde und die Schwebende Göttin sowie das Traubenmädchen im Kurpark sind ihre bekanntesten Werke.

Meisterliche Bildhauerwerke aus weit älterer Zeit kann man auf einem Abstecher von Bad Kreuznach über Bosenheim nach Pfaffen-Schwabenheim in Augenschein nehmen. Dort erhebt sich die ehemalige Klosterkirche mit ihrem herrlichen Chor (Übergangsstil, 1225-48) über der Grablege der Sponheimer Grafen aus der Kreuznacher Linie. Graf Johann (gest. 1340) und Graf Walram (gest. 1380) sind als Bildnisfiguren zu erblicken; letzterer gilt in der regionalen Sage als Urbild des ›Wilden Jägers‹, von dem vor allem in den Überlieferungen der Soonwaldgegend häufig die Rede geht.

Östlich von Pfaffen-Schwabenheim liegen die rheinhessischen Winzer-und Bauerndörfer offen in der fast baumlosen Ebene, während zur anderen Seite über dem Nahelauf mit seinen Rebhängen der Anstieg zum Großen Soon und zum Binger Wald bereits die dichten Forsten erkennen lässt, die weiter droben den Landschaftsraum prägen. Auf dem zum Hunsrück gehörigen Westufer, teils über niedrigen Flussterrassen, erheben sich die Orte der Verbandsgemeinde Langenlonsheim. Winzenheim, als eingemeindeter Stadtteil noch zu Bad Kreuznach zählend, birgt in seiner katholischen Kirche (1819) einen Altar (um 1770) und einen alten Taufstein (um 1500). Vor dem Ort weitet sich zur Nahe hin eine Ackerflur, an deren Rand ein modernes Denkmal daran gemahnt, dass hier auf dem seither so benannten ›Feld des Jammers‹ nach dem Zweiten Weltkrieg ein großes Lager mit deutschen Kriegsgefangenen zur Leidensstätte geworden war. Unmittelbar daran vorbei führt die B 48 (›Naheweinstraße‹) und wenig weiter nach Bretzenheim hinein.